Nach einem sehr kurzen Flug von Wien, der mir klar machte, wie nahe Bulgarien eigentlich ist und wie viel unbekanntes Territorium ich mental zurücklegen muss um dort hinzugelangen, fahren wir zum Hotel, packen aus und um — die Kameras, Aufnahmegeräte und Mikrofone müssen so unauffällig wie möglich sein, um, wenn nötig, den ganzen Tag damit herumgehen zu können. Währenddessen durchtränkt ein Unwetter blitzschnell die Luft, ein Panama City herstellend, ein Grad höher auf einer persönlichen Temperatur- und Feuchtigkeitsskala als in Colombo, Sri Lanka. Ich bin kein Wetterforscher, Zahlen rufen nie viel Reaktion in mir hervor. Aber, wenn L. sagt: „Es ist San-Cristóbal-Wetter“, dann weiß ich, dass die Luft beißend ist, das grelle Licht in den Augen brennt und Schatten und Sonne so scharf kontrastieren, dass um eine Ecke gehen so sein kann, wie an einem brennend heißen Tag schnell aus einer Kirche zu kommen. Dieser Gedanke veranlasst mich über persönliche Wettersysteme anderer Leute nachzudenken und mir fällt Reverend Phil vom Kirchenjugendverein ein, der eine eindeutig theologische Wetter-Taxonomy hatte: „Himmlisches Wetter heute, nicht?“, oder: „Teuflisch heiß.“ oder sogar: „Es ist ein so schreckliches Wetter, dass sogar die Engelsgeduld von Hiob auf die Probe gestellt wird.“ für stoßweise, unvorhersagbare, schwere Regenschauer mit böigem Wind (sein Regenschirm hatte sich etliche Male umgestülpt). Während wir auf das Vorüberziehen des Sturmes in Sofia warten, liege ich dösend auf dem Bett und stelle in meinem Kopf eine Liste von allem,
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das ich mit Bulgarien assoziiere, zusammen. Ich bin nicht eine von jenen Personen, die Reiseführer lesen, bevor sie irgendwohin fahren. Ich bin so leicht von „der Autorität von Interpretationen“ in Büchern beeinflussbar, dass es mir das Gefühl gibt, alles durch einen Schleier zu betrachten, wenn ich viel lese, bevor ich etwas sehe. Es ähnelt auch einer Erfahrung, die in Europa immer häufiger gemacht wird: Reisen in eine andere Stadt führt nur eine geklonte Haupteinkaufsstraße vor — dieselben Einkaufsketten. Selbst wenn man ins Ausland fährt, könnten viele der kleinen Souvenirs, die man zurückbringt, nur einige Straße von zuhause erworben worden werden. Also: keine Reiseführer zu lesen ist zugleich eine Selbstverteidigungsstrategie, die mir ermöglicht, Muster, Brüche und „unwichtige“ Details der Umgebungen zu absorbieren und auch reales Leben nicht durch Fotos im Reiseführer vorwegzunehmen. Andererseits liest L. gerne ausführlich über die Orte, an die sie fährt, um auszuwählen was zu sehen sein wird und es in einen unmittelbaren Kontext stellen zu können. Das scheint ihre Freude überhaupt nicht zu reduzieren und ich muss zugeben, ich frage sie gerne, während wir unterwegs sind.
Durch das Beibehalten eines Zustandes, der mich in einem relativ ungeordneten Feld von visuellen, auditiven und Geruchseindrücken belässt, ist der Zwang, meine Erfahrungen auf der Stelle zu kategorisieren, zeitweilig aufgehoben. Oder zumindest möchte ich das glauben. Tatsächlich macht sich sehr bald die eigene Interessensliste bemerkbar.
Eines der Dinge, die mir am meisten Freude bereiten, ist es, meine fest verankerten Vorurteile gegen andere Realitäten zu überprüfen. Meine Liste von nicht notwendigerweise miteinander in Verbindung stehender Information:
1. Auf der Geschäftsebene hat sich die EVN, das niederösterreichische Energieunternehmen, in Zentralbulgarien an Unternehmen beteiligt, die das Stromnetz von den Umspannwerken bis zu den Kund/innen betreiben.
2. Um beim Geschäftlichen zu bleiben, aber mit ziemlich anderen Resultaten: Rover erlitt in den 1990ern beim Versuch, alte Maschinen für die Produktion des populären aber veralteten „Maestro“-Modells an ein Joint-Venture-Unternehmen weiterzureichen, ein Debakel. Eine ähnliche Strategie wie beim brasilianischen VW Käfer. Die Manager schienen auf einen Markt von westlichen Autos jeglicher Art gezählt zu haben. Sie schätzten die „lokalen Konditionen“ falsch ein und vielleicht auch die Tatsache, dass das Schnellste im Westen seine Information und sein Kapital ist: seine Propaganda für Güter und Dienstleistungen, also der Verkauf von Bildern vor den Produkten durch Werbung und Fernsehprogramme. Leute bekommen die neuesten Bilder von dem, was sie wollen sollen lange bevor sie es sich leisten können. |