Der Tag begann mit Comics. Ein Freund schickte mir eine elektronische Version des erstmals 1947 erschienenen Tintin-Comics König Ottokars Zepter. In der Geschichte geht es um einen fiktiven Balkanstaat namens Syldavia und das angrenzende Borduria. Syldavia ist eine Monarchie mit einem schwarzen Pelikan als Wappen. Der Monarch muss sich einem alten Brauch unterwerfen, d.h. er verliert sein Recht zu regieren, wenn er nicht jährlich am St.-Vladimir-Tag mit einem historischen Zepter erscheint.
Die Geschichte beginnt in London mit einem Professor, der im Begriff ist zu einem Studienbesuch in dieses Land zu fahren, um königliche Siegel zu begutachten. Dazu muss er jenes gut bewachte Archiv besuchen, in dem auch das Zepter verwahrt wird. Tintin wird in ein damit zusammenhängendes syldavisches Komplott verstrickt und infolgedessen gibt es verschiedenste Attentatversuche in London und Syldavia, ausgeführt von Männern mit dunklen, wuchernden Schnurrbärten. Es stellt sich heraus, dass an der Verschwörung, den König zu stürzen, Mitglieder aus allen Rängen, inklusive Polizei, beteiligt sind. Sie scheitert natürlich, aber die Umrisse des Balkanismus sind da. Von Bauern in exotisch-farbenfrohen Kostümen zu Bomben werfenden Republikanern, die mehr nach Anarchisten aussehen und einem sehr einnehmenden gentlemanhaftem Monarchen …
Wir besuchen die Synagoge, die vom Wiener Architekten Friedrich Grünanger entworfen und 1911 fertig gestellt wurde. Damit steht sie in derselben Kategorie wie das Nationaltheater, gebaut von den Wiener Architekten Helmer und Felmer, 1907 fertig gestellt, und noch eine weitere Verbindung zu Österreich. An der Seite des Gebäudes, das einst Platz für 1200 Personen bot und eine gute Akustik zu haben scheint, gibt es eine Ausstellung, die der Geschichte der Juden und Jüdinnen in Bulgarien während des II. Weltkrieges gewidmet ist. Es ist ein historisches Narrativ, das wir zuvor noch nicht gehört hatten, und ich vermute, dass es erstaunlich wenig bekannt ist, zumindest in dem Ende Europas, von dem ich herkomme. Es wird selten als Beispiel verwendet… Wir werden recherchieren müssen und schauen, ob ich nicht einige Geschichtsbücher auf Englisch finden kann, gebrauchte wenn nötig, um zu bestätigen was wir glauben, in der Ausstellung erzählt bekommen zu haben. |
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Ich finde all das wichtig, weil es einige einfache Hinweise gibt, die natürlich unsere eigenen Interessen als Künstler/innen erkennen lassen, mit denen wir uns in einem fremden Land zurechtfinden können. Wie die Majorität eines Landes mit ihren Minoritäten interagiert, enthüllt augenblicklich die Umrisse der nationalen Identität und Ebenen von politischer Reibung, oder ihre Abwesenheit, an deren Schnittstelle sich Bereiche von politischer Sensibilität zeigen, die instrumentalisiert, mystifiziert, re-interpretiert oder denen etwas entgegengesetzt werden kann. All die Strömungen in einem umstrittenen Territorium. Andererseits bedürfen auch unsere eigenen medial bedingten Vorurteile einer Untersuchung. Dinge, die Menschen ausrangieren oder gebraucht verkaufen, wie zum Beispiel Bücher, sind eine Lektion darin, wo das Land war, wohin es strebt, und, im esoterischen Wirbel kultureller Währung, eine Art soziologischer Archäologie. |