Weiter südlich, die Straße entlang, die uns geradewegs zur türkischen Grenze bringt, kommen wir an Varvara vorbei, wo es jetzt eine Künstler/innenkolonie gibt und das einst, nach Bulgariens Unabhängigkeit, hauptsächlich von ethnischen Türk/innen bewohnt worden war. Nach den Balkankriegen (1912-13) wurden sie von bulgarischen Flüchtlingen aus Ostthrakien „ersetzt“, als die Türk/innen in das Gebiet, das vom Osmanischen Reich übrig geblieben war, „emigrierten“. In der Nähe von Rezovo überqueren wir eine dieser unsichtbaren internen Grenzen, eine kontrollierte Straßenblockade, an der unsere Pässe überprüft werden, flüchtige Spur der kommunistischen Vergangenheit. Fotografieren und filmen ist in dieser Zone nicht erlaubt, wird uns gesagt. Es scheint nicht sehr real, eher wie ein historischer Reflex, ein Überbleibsel aus einer früheren Epoche, aber auch Zeichen für eine offizielle, bulgarische Identität, die noch in Bewegung ist. Das Dorf selbst liegt hoch oben auf einer von einer Düne bedeckten Landspitze und überblickt den Fluss Rezovo (es ist der Fluss Mutludere von weiter unten, von der anderen Seite betrachtet). Das ist die Grenze. M. beginnt sich sofort mit einem alten Mann zu unterhalten, der sich beklagt, dass man hier noch immer auf die Reparatur des Stromnetzes wartet, dass auf Grund einer Panne und fehlender Ersatzteile die Stromstärke bei 380 Volt liegt und dass sie damit zurechtkommen müssen. Wir gehen ein bisschen weiter bis zum Rand der Klippe, wo die kleine Kirche „St. Johann der Täufer“ thront. Davor steht ein Gestell mit Glocken. Die Höhe über dem Meeresspiegel (und den türkischen Stränden) bedeutet, dass an einem ruhigen Tag oder bei richtigem Wind der Klang der Glocken bis weit in die heutige Türkei getragen wird, sicher aber bis zum Wachturm nahe des Strandes und der kleinen Siedlung dahinter. Die Botschaft ist dennoch ambivalent, da St. Johann sowohl im Christentum als auch im Islam als Prophet angesehen wird. |
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Wir gehen zum Meer hinunter, wo uns ein Schild ermahnt keine Fotos zu machen. Es wird von allen ignoriert. Als wir das mit Steinen verstärkte Flussufer entlangspazieren, tuckert ein Fischerboot vom Meer herein, das die Landesgrenze durch sein Kielwasser markiert.
Weil wir schon am frühen Nachmittag in Primorsko zurück sind, entschließen wir uns echte Tourist/innen zu spielen, schwimmen zu gehen und am Strand zu liegen.
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