Heute früh sprachen wir mit D., dem Direktor einiger Unternehmen, von dem eines davon das Rosenfestival unterstützt. Er meinte, dass „Europa“ an den industriellen Produkten Bulgariens kein Interesse habe, sondern nur an den landwirtschaftlichen. Er kaufte sich in ein ehemals staatliches elektrokeramisches Werk ein, in dem sein Vater einer der Direktoren war und das 2000 Arbeiter/innen beschäftigte, 35 Prozent davon Roma. Nach der Privatisierung wurden, ungeachtet der Qualität der Produkte, die Bestellungen immer weniger, weil es billiger war, Isolatoren in der Türkei zu kaufen oder sie sogar aus China zu verschiffen. Es sind nur noch 86 Arbeiter/innen „auf der Gehaltsliste“, aber sie streiken gerade, weil sie seit fünf Monaten nicht mehr bezahlt worden sind. Er erzählt auch, dass das „Roma-Problem“ größer geworden ist, weil es weniger Arbeitsmöglichkeiten gibt und weil die soziale Absicherung und das Gesundheitswesen jetzt von den Beiträgen der Arbeitgeber/innen und Arbeitnehmer/innen abhängt und kein Grundrecht mehr ist. Er tanzt um das Thema Korruption herum. Laut EU-Berichten durchdringt sie fast alle Geschäftsbereiche und hat sich besonders auf lokaler Ebene etabliert. Transparency International zufolge, einer Organisation, die einen jährlichen Korruptions-Wahrnehmungsindex herausgibt, der sich auf institutionelle und wirtschaftliche Quellen bezieht, ist Bulgarien in den letzten fünf Jahren von Platz 54 auf Platz 64 nach hinten gerutscht. Vergleichsweise waren Länder wie die Slowakei und Polen, die viel weiter unten auf der Liste begonnen hatten, viel aktiver im Abbau von Korruption. Obwohl Bulgarien im Index weit vor den ehemaligen Jugoslawischen Republiken mit ihren erst unlängst stattgefundenen Kriegen gereiht war und noch weiter vor China und Russland, ist es klar, dass Korruption noch immer eines der Hauptprobleme ist. Durch die radikalen politischen Veränderungen und dem in Folge stattfindenden Verkauf von öffentlichen Einrichtungen eröffneten sich Möglichkeiten von groß angelegter Korruption auf Seiten derer, die verkauften, und derer, die kauften. Dimitrova erwähnt auch andere, ebenso korrupte, aber einfacher zu verstehende Aspekte: den gepanzerten 1943er Mercedes von Boris III, der „verloren gegangen“ ist (um in einer privaten Sammlung in Las Vegas wieder aufzutauchen) und Georgi Dimitrovs Packard, der ebenfalls verschwand. |
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D. erzählt auch, dass die allgemeine Arbeitslosenrate in dieser Gegend über 20 Prozent beträgt und er arrangiert für den Nachmittag einen Besuch für uns in der gestrandeten Fabrik.
Am Weg dorthin, entlang des breiten Tales am Fuß des Balkangebirges, bemerken wir eine ausgebleichte Aufschrift auf einer Brücke über der Hauptstraße. B. sagt, es seien ermahnende und ermunternde Slogans aus den 80er-Jahren. Manche wurden durch grobes Übermalen entfernt, die, die man noch entziffern kann, haben mit Patriotismus und Heimat zu tun.
Der Nachmittag ist schon sehr heiß, als wir bei dem Werk ankommen, und wir melden uns im Pförtnerhaus an. Dem Eingang gegenüber ist eine Mitteilungsbox mit einem Schild: „Bitte geben Sie Informationen weiter, sollten Sie von korrupten Aktivitäten erfahren.“ Ein Pförtner erscheint mit einem Repräsentanten der Verwaltung. Sie führen uns durch die verschiedenen Arten von Stille in den unterschiedlichen Abteilungen, wo früher Kaolin gemischt und die Luft extrahiert wurde, wo man Isolatoren formte und sie brannte. Überall gibt es Zeichen vergangener Aktivitäten: Bilder an den Wänden, abgenützte Bänke, veraltete, aber noch immer brauchbare Maschinen und Aufforderungen des Managements wie: „Es ist die Pflicht jedes Arbeiters, Industrieunfälle zu vermeiden.“ Es ist eine Fabrik im Winterschlaf, aber man kann sich immer noch vorstellen, eine Maschine nach der anderen würde wieder anlaufen, die Brennöfen würden zu dröhnen beginnen, die schweren Förderwägen mit ihrer Ladung auf die Verladerampe fahren und Lärm käme aus der Kantine. Es besteht noch eine kleine Chance, dass die Fabrik aus ihrem Rip-Van-Winkle-Schlaf erwacht, aber es ist sehr unwahrscheinlich. Einige der Maschinen, die die Luft aus dem Kaolin extrahiert hatten, und die Spezialmaschine, die Meter lange Isolatoren herstellte, wurden verkauft, wie uns gesagt wird.
Als wir zum Pförtnerhaus zurückkommen, bemerken wir ein demontiertes Relikt aus der Vergangenheit, das mit blinden Augen geradewegs in den blauen Himmel starrt, ein Seher, dessen Visionen kamen und gingen: es liegt guillotiniert auf einer Bahre. |