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Als wir heute früh das Hotel verlassen, besprüht eben ein maskierter Gemeindearbeiter das Gras und das Unkraut, das in den Rinnsteinen wächst, mit Herbizid. Wir machen uns auf den Weg nach Shipka, um die Gedenkkirche mit ihren goldenen Kuppeln zu besuchen, die man Kilometer weit durchs Tal sehen kann. Das Wetter ist uns wohlgesonnen und als wir ankommen, sehen wir, dass ein Gärtner das schöne Wetter zum Gras mähen nützt. Ich mache Tonaufnahmen, gehe vom Inneren des Gebäudes zum äußeren Teil, gleichzeitig ein akustischer Übergang vom Sakralen zum Bukolischen. Die Kirche erinnert an die Schlachten am Shipka-Pass und wurde Anfang des 20. Jahrhunderts eingeweiht, obwohl ihr Aussehen sie in Raum und Zeit verschiebt: in dem Stil gebaut, der zu Mozarts Zeit weit verbreitet war, wirkt sie, als hätte man sie aus dem Zentrum Moskaus entwurzelt und im 18. Jahrhundert in eine bulgarische Hügellandschaft eingepflanzt.
Die Stadt selbst ist klein und dehnt sich vom Berg bis ins Tal hinunter aus. Wir haben sie schon fast verlassen, als L. ein verfallenes Gebäude entdeckt, das einmal ein bürgerliches Einfamilienhaus gewesen sein muss. Gegenüber befindet sich ein Gemeindezentrum, in einer nie fertiggestellten Erweiterung steckengeblieben. An der Rückseite des Gebäudes, das vielleicht Anfang des 20. Jahrhunderts erbaut worden war, befindet sich der halbfertige Anbau, der seine Größe verdoppelt hätte. Das ist noch eines dieser Kulturzentren, die in Bulgarien eine lange Geschichte haben und zumindest bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen. Die kommunistische Administration schloss an diese lange Tradition an. Anfänglich verfolgten sie liberale (und befreiende) Ideale, die sich auf das einem Individuum inhärente Potential bezogen, aber langsam bewegten sie sich auf die restriktiveren doktrinären Lehren des wissenschaftlichen Sozialismus zu, in denen das Individuum der Staatsagenda vollkommen untergeordnet war. So wurden Kino, Theater und andere Aktivitäten als Vehikel für Propaganda verwendet. Aber es gab auch, wie in den meisten Ländern unter totalitärer Herrschaft, Knotenpunkte des Widerstands, die die einseitigen Interpretationen und Vorgaben unterwanderten, indem sie an vorkommunistische Figuren, verborgene Geschichten und alternative Ideen über die Beziehung des Staates zum Individuum anschlossen. |