Ich schreibe, während wir frühstücken. Wir sind die Einzigen im Speisesaal, der von einer Größe ist, die im Verhältnis zu der des Hotels steht. Ein halbes Dutzend großer Männer mit entsprechend großen Muskeln treten ein und beginnen Unmengen von Essen zu konsumieren. Entweder handelt es sich dabei um das lokale Wrestling- oder Stemmerteam oder wir haben unsere erste Begegnung mit den „Stiernacken“. Manche frühstücken alleine, der Rest zu zweit. Nach dem Frühstück warten wir beim Eingang des Hotels auf M. und bemerken neben der Türe zwei Mercedes und einen schwarzen Hummer, im Halbkreis geparkt, mit verdunkelten Scheiben, makellos… standhaft das Parkverbotsschild ignorierend, das verschwunden sein wird, wenn wir später zurückkommen... M. bestätigt unsere Vermutungen und erzählt uns, dass er ein Zimmer auf derselben Etage wie die fraglichen Gentlemen hatte und dass es die Nachtschicht war, die frühstückte, bevor sie schlafen ging. Die Tagesschicht hatte bereits übernommen, den Gang auf und ab gehend…
Gestern Nacht, als ich über Juden und Jüdinnen hier vor dem II. Weltkrieg recherchierte und las, ergaben sich einige interessante Informationen und bestätigten die Grundzüge dessen, was wir in der Synagoge gelernt hatten. Beim Ausbruch des II. Weltkrieges, nach zwei rechtsgerichteten Staatsstreichen in den 1920er- und 1930er-Jahren, war Bulgarien eine parlamentarische Monarchie. Ursprünglich hielt König Boris, unter dem Druck von zwei Seiten (den Achsenmächten und den Alliierten) dem Bündnis beizutreten, eine bewaffnete Neutralität aufrecht, versetzte Bulgarien in den Kriegszustand, zögerte aber jegliche bindende Entscheidung hinaus, ungeachtet der Tatsache, dass Deutschland Bulgariens größter Absatzmarkt war. (Im I. Weltkrieg traten Bulgarien sowie die Türkei der austro-deutschen Allianz bei, um Gebiete, die während der Balkankriege 1908-1913 verloren worden waren, zurückzugewinnen — eine Strategie, die scheiterte.) Gegen Ende 1940 stand der König auch unter dem Druck der Russen, die Bulgarien zu einer „sowjetischen Sicherheitszone“ deklarieren wollten, eine Terminologie, die Stalin verwendete, kurz bevor er unter dem Schutz des deutsch-sowjetischen Paktes die Balkanstaaten verschluckte. Im Februar 1941 stimmte Bulgarien, nicht überzeugt, dass die Alliierten den Krieg gewinnen würden, offiziell dem Bau einer Pontonbrücke über die Donau zu, die es den Deutschen ermöglichen sollte, nach Süden, nach Griechenland, Serbien und Mazedonien weiterzumarschieren. Der deutsch-bulgarische Pakt, der einen Tag zuvor in Wien unterzeichnet worden war, schien sofort Früchte zu tragen. |
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Bulgarien bekam viele Teile des Territoriums, das ihm 1918 aberkannt worden war, zurück sowie einige griechische Inseln und Teile von Mazedonien. Die Bulgar/innen „erhielten nicht die vollen Eigentumsrechte über die neuen Territorien, für den Fall … (dass sie) … den Gewinn einsacken und die Achsenmächte verlassen würden.“ (Crampton)
Wie üblich versuchten die Deutschen Gesetze durchzusetzen, die die jüdische Bevölkerung von ökonomischer und sozialer Unterstützung ausschließen und sie vom Rest der Zivilgesellschaft isolieren würden. Genau zu dieser Zeit wurde im Parlament ein Gesetz verabschiedet, das den Jüd/innen in den neuen besetzten Gebieten die bulgarische Staatsbürgerschaft entzog und damit den Deutschen, die de facto die Kontrolle hatten, ermöglichte, sie zu deportieren. Das fand Anfang 1943 statt. Tatsächlich scheint es, dass die Summe von Deportationen, die im Parlament beschlossen worden war, auch Jüd/innen der Vorkriegsterritorien Bulgariens miteinschloss. Aber Dimiter Peshev, ein Parlamentsabgeordneter und stellvertretender Vorsitzender der Nationalversammlung, setzte Ereignisse in Bewegung, die in einer Petition an den König mündeten, von 43 Parlamentariern unterzeichnet, nachdem er von Jüd/innen, die wussten, was sie erwarten würde, gewarnt und informiert worden war. Das wurde seitens der Kirche und von Menschen aus fast allen Gesellschaftsschichten mit organisiertem Widerstand unterstrichen — der Metropolit von Plovdiv verkündete sogar, dass er jüdisch sei. Als Resultat wurde die gesamte jüdische Bevölkerung von 43 000 Menschen vor den Konzentrationslagern gerettet. Natürlich konnte solch eine Demonstration von Zivilcourage politisch nicht „unbeansprucht“ bleiben, sodass während eines historischen Symposiums im Jahr 1995 in Sofia Einzelne immer noch argumentierten, dass die bulgarische kommunistische Partei den Widerstand organisiert hätte. Allerdings gab es keine Zustimmung und das Symposium ehrte die vielen Menschen und Institutionen, die an dem Ereignis beteiligt gewesen waren. Wie bei Hannah Arendt zu lesen ist, berichtete Walter Schellenberg, Chef des Abwehrdienstes im Reichshauptsicherheitsbüro, 1942 dem Außenamt, dass der Stern, den die bulgarische jüdische Bevölkerung zu tragen hatten, „sehr klein“ war, dass ihn viele überhaupt nicht trugen und dass die, die es taten, im Allgemeinen, „so viele Manifestationen von Sympathie“ erhielten, dass sie stolz darauf waren. Arendt fasst die politische Position folgendermaßen zusammen: „Bulgarien hatte mehr Gründe Nazi-Deutschland dankbar zu sein als jedes andere Land am Balkan, da es territorial, auf Kosten von Rumänien, Jugoslawien und Griechenland, beachtlich vergrößert wurde. |