Das Kino ist gegenüber dem Markt, der in zwei Teile geteilt ist: den mit den offiziellen und den mit den "wilden" Ständen, die entlang der Straße außerhalb des eigentlichen Marktes liegen. Man findet hier die üblichen Waren, alles, von Gurken bis zu Tischdecken, Früchte, Metallfeilen und Schnickschnack. Die Sonne steht genau über uns und, obwohl viele der Produkte von Plastiksonnensegeln geschützt werden, erfüllt es mich mit kindlichem Entzücken, als ich einen Standinhaber sehe, der eine improvisierte Dusche verwendet, um seine Waren zu kühlen. Sie besteht aus einer Plastikflasche, in die mit einer Nadel lauter kleine Löcher gestochen wurden. Die dünnen Wasserstrahlen formen einen Bogen in der Luft, ihr feiner Sprühregen trifft auf die Gurken. Ich stehe nah genug, um etwas davon auf meinem Arm abzubekommen. Später kauft dann L. zwei Tischtücher als mögliche Objekte für eines ihrer inszenierten Fotos. |
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Man kann sie per Meter von Rollen kaufen und sie sind aus mittelschwerem, gemustertem Plastik. „In der Türkei hergestellt“, sagt der Verkäufer und schneidet L. ein rundes Tischtuch ab. Der synthetische Geruch des neuen, stark erhitzten Plastiks erfüllt das Auto, bis wir es nach unserer Rückkehr in einer Plastiktasche versiegeln.
Zurück auf der Straße filmt L., während ich mich in Gedanken über geografische und imaginäre Grenzüberschreitungen verliere. Wie man diese Grenzübergänge sieht, die Art und Weise, wie sie definiert und erfahren werden, hängt davon ab, wer man ist, nicht so sehr als Individuum, sondern als Teil einer privilegierten oder einer benachteiligten Gruppe. Also müssen persönliche Entscheidungen und äußere Umstände, die die Machtfragen von Ländern und Kulturen reflektieren, immer innerhalb dieses Kontextes gedacht werden. Auf Grund dessen, was wir hier erleben, kann ich mir vorstellen, dass es viele Menschen gibt, die sich freuen, der Europäischen Union beizutreten, über die (vielleicht mit Einschränkungen offenen) EU-Grenzen fahren zu können, anstatt sich mit den jetzigen auseinanderzusetzen. Polen ist der EU 2004 beigetreten und jetzt, 2006, gibt es Orte in England, wie Southhampton zum Beispiel, wo der Anteil der polnischen Bevölkerung schon fast die 10% überschreitet. Ob sie als temporäre Arbeiter/innen da sind oder dauerhaft ansässig werden, wird sich zeigen.
Als ein – wenngleich privilegierter – Immigrant nach Österreich gekommen, habe ich die mentale Grenzüberschreitung zwischen der „selbstverständlichen Zugehörigkeit“ des Zuhauses und der „eingeschränkten Zugehörigkeit“ des Auslandes erfahren, zwischen „hier bin ich zu Hause“ und „hier habe ich mir mein Zuhause gemacht“. Viele Zuwander/innen (besonders die erste Generation) leben diese hybriden Identitäten, „zu Hause“ als eine bestimmende soziale, kulturelle und politische Referenz beizubehalten, während sie „hier“ in einer sozial, kulturell und politisch limitierten Gegenwart leben. Möglicherweise wird die Balance kippen, wenn dauerhaftes Bleiberecht rechtlich gesichert ist und die Toten zur Beerdingung nicht mehr „nach Hause“ verschifft werden…
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