Die Geschichte ist oberflächlich gesehen ziemlich einfach. Es war einmal ein junger Mann, der hatte sich in eine junge Frau verliebt, aber weil sie sehr sittsam war, trug sie immer ein Kopftuch, sodass er nur ihre Augen sehen konnte. Er begann sich nach dem Mädchen zu sehnen und überredete seinen Vater eine große Mitgift in Gold zu zahlen, um sie zu seiner Frau zu machen, was der Vater auch tat. Zur angebrachten Zeit kamen die Hochzeitsgäste, um die Braut zu holen, und machten sich auf den Weg nach Zimzelen. Da kam ein heimtückisch verspielter Wind auf, riss der Braut das Tuch vom Kopf und brachte ein Gesicht von bezaubernder Schönheit zum Vorschein. Der Bräutigam und dessen Vater waren sprachlos. Die Gedanken des Letzteren wandten sich schnell dem zu, was man nicht einmal denken darf. Da wurde der Wind wütend und verwandelte zuerst die Braut auf ihrem Esel, dann, einen nach dem anderen, den Vater und die anderen Gäste zu Stein. Am Ende war nur noch der Bräutigam übrig. Er flehte den Wind an, er solle auch ihn in Stein verwandeln, damit er bei seiner Braut sein konnte, ein Wunsch, der ihm prompt erfüllt wurde. Und dort stehen sie bis heute. Diese Geschichte ist meinem Verständnis von Gerechtigkeit völlig fremd. Braut und Bräutigam sind eine Eins-zu-eins-Analogie zur Geschichte von Romeo und Julia (sowie auch das Ende), aber ich finde es schwer zu verstehen, warum die erste Person, die versteinert wird, die unschuldige Braut ist. Wird sie verantwortlich gemacht für die launischen Streiche des Windes? |
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Und was ist mit den Zuschauer/innen, den Hochzeitsgästen, auf welche Weise haben sie Schuld? Oder ist es folgende Idee: verletzt eine Person (besonders eine Frau) die moralischen Regeln, ist die gesamte moralische Ordnung bedroht und die Gemeinschaft wird als Ganzes bestraft? Es scheint passend orakelhaft und ich bin sehr froh, aus der Sonne zu kommen, die nicht nur von oben auf uns herunterbrennt, sondern allem Anschein nach auch vom weißen Felsen kreischt, wie die sprichwörtlich schlecht gelaunte Stiefmutter.
Wieder Richtung Norden. Wir entschließen uns Kaffee zu trinken und in der Stadt Haskovo herumzuspazieren. Oben auf einem Hügel, dem Hügel der Jugend, von dem aus man einen Ausblick über das Stadtzentrum hat, befinden sich zwei Kulturstätten: eine ist ein Sportstadium und die andere, neuere eine gigantische Statue der Muttergottes, privat finanziert, erzählt uns M. |