Zweitens: die Mechanismen und die Politik zur Konstruktion einer Nation sind an diesem Diskurs nur indirekt beteiligt, als tangentiale Argumente und Positionen im Verhältnis zu anderen Debatten über die Natur des Staates, die generelle politische Situation, die Rolle der Religion, der Industrialisierung usw. (Verdery). Anders gesagt, diejenigen mit politischer Macht sind mit der Aufgabe konfrontiert, die Vergangenheit so zu bearbeiten, dass mittels verschleiertem und deshalb quasi unsichtbarem Diskurs ein Narrativ hergestellt wird, das der vorgestellten Zukunft entspricht.
Das Ergebnis dieses politischen Vorstoßes wurde zur Anstrengung, um das religiöse Band zwischen ethnischen Türk/innen und Pomak/innen zu durchtrennen und um auf die letzteren Anspruch zu erheben als eine „verlorene“ Gruppe von Bulgar/innen, die während der fast ein halbes Jahrtausend dauernden Osmanischen Herrschaft gezwungen worden waren zum Islam zu konvertieren. Das hat diese in die paradoxe Situation gebracht, als Minderheit behandelt zu werden, ohne gleichzeitig offiziell als solche anerkannt zu sein. Nachdem dieser Mythos konstruiert worden war, folgten bald direkte und sichtbare Handlungen. Fast zeitgleich mit den Balkan-Kriegen (1912–13), die stattfanden, um die Osman/innen aus Europa zu vertreiben, wurden die Pomak/innen (Koinova, Marushiakova & Popov) einer massenhaften Zwangschristianisierung unterworfen (zwischen 150 000 und 200 000 Menschen). Das veränderte nicht nur ihre Religion, sondern auch ihre Namen und traditionellen Trachten.
Nach dem I. Weltkrieg waren die Pomak/innen immer noch dem Druck zu konvertieren ausgesetzt, obwohl unter Stamboliiski Schulbildung für Minderheiten ein gewisses Maß an öffentlicher Unterstützung erhielt. Kemalistische Reformen in der Türkei in den 1920er-Jahren waren der Grund, dass die bulgarische Junta ab 1923 konservative muslimische Strömungen innerhalb der Pomak/innen-Bevölkerung unterstützte, um der als Bedrohung wahrgenommenen türkisch-nationalistischen Identität entgegenzutreten. Die Junta, die 1934 an die Macht kam, war aber im Wesentlichen anti-islamisch. |
|
In der Zeit bis zum II. Weltkrieg und auch währenddessen gab es noch immer enormen Druck auf die Pomak/innen ihre Namen zu ändern, besonders bei der Registrierung neugeborener Kinder. Hier wurde mit mehr oder weniger Zwang veranlasst, bulgarische Namen statt den türkischen und islamischen anzunehmen. Zusätzlich wurden 1942 die Namen von 300 Dörfern geändert.
Als 1944 die kommunistische Partei an die Macht kam, unterstützte sie zu Beginn die ethnischen und religiösen Minderheiten. Der vorherrschenden Überzeugung nach hatten auch sie unter dem Klassensystem gelitten und sollten potentiell den sozialistischen Arbeiter/innen gleichgestellt werden; also wurden z.B. die während des Krieges durchgeführten Namensänderungen rückgängig gemacht. Im Hintergrund aber gab es, wie bei der Roma-Bevölkerung, die marxistisch-doktrinäre Erwartung, dass Religion und Ethnizität zusammen mit den nationalen Grenzen verblassen und von einer neuen sozialistischen Identität ersetzt werden würden - atheistische Arbeiter/innen mit internationaler Identifikation. Durch den ziemlich schnellen Wandel vom kommunistischen Internationalismus zum kommunistischen Nationalismus und der Akzeptanz eines doktrinären Paradoxons, das niemals überwunden wurde, war die Politik nach 1949 darauf ausgerichtet, die muslimische Identität zu untergraben. Weitere Gründe für die politische Kontrolle über die Ausübung von Religion und religiösen Lehren waren geopolitische, strategische Erwägungen. Die Mehrheit der muslimischen Genoss/innen lebten in Grenzgebieten zur Türkei und Griechenland, die seit 1952 NATO-Mitglieder waren.
Trotz Industrialisierungsprogrammen war die Mehrheit der muslimischen Bevölkerung noch immer in der Landwirtschaft tätig. Ab Mitte der 1950er-Jahre nahm der Prozentsatz der Muslim/innen in der Bevölkerung auf Grund von verbesserten Gesundheitseinrichtungen, steigender Geburtenrate, geringerer Kindersterblichkeit und einer höheren durchschnittlichen Lebenserwartung rasch zu. Paradoxerweise wurde die muslimische Identität durch den Versuch, die Religion durch den Parteiapparat zu kontrollieren, und durch den Erlass zur erzwungenen Kollektivierung der Landwirtschaft (sowie den Widerstand dagegen) geschärft. |