Aus Sicht der bulgarischen kommunistischen Partei wurde es zwingend, den Assimilationsdruck auf die Pomak/innen zu erhöhen, während sie zur selben Zeit physisch aus den heiklen Grenzgebieten abgesiedelt wurden. Genaue Zahlen sind nicht vorhanden, aber es waren so viele, dass all jene, die im Landesinneren wieder angesiedelt werden sollten, nicht einfach in bereits bestehende Gemeinden geschickt werden konnten. Deshalb wurden zwei neue Siedlungen gegründet: eine in der Nähe von Veliko Tarnovo, die andere in der Nähe von Kazanlak. Die Grenzen wurden, wie M. uns letztes Jahr erzählt hatte, in drei Zonen geteilt und kontrolliert: ein Streifen von 10 bis 300 Metern, dessen Betreten nach zwei Kilometern und bei Kilometer 15 strengstens verboten war. Zugang zu diesen Sektionen setzte spezielle Dokumente voraus (sogar für Bauern) und es gab oft ein Nacht-Ausgehverbot in besonders heiklen Gebieten.
1962 verabschiedete das Politbüro eine Resolution die die rechtliche Basis für eine neue Kampagne zur Namensänderung bildete. Anfänglich wurde dies, wie schon gesagt, an der Roma-Bevölkerung ohne viel Widerstand von deren Seite ausprobiert und 1964 wurde in Folge immer mehr Druck auf die Pomak/innen ausgeübt. Mitglieder der Pomak/innen-Partei wurden gezwungen, als gute Beispiele zu fungieren und bulgarische Namen anzunehmen. Zuerst gab es Widerstand, der so stark war, dass die Armee und die Administration sich an der Niederschlagung beteiligten, woraufhin die Maßnahmen verlangsamt wurden. Zur selben Zeit verbesserten sich die ökonomischen und sozialen Verhältnisse in den Gebieten, in denen Pomak/innen lebten (z. B. indem Fabriken errichtet wurden), nicht zuletzt, um einen Keil zwischen diese und die türkische Bevölkerung zu treiben.
Auf internationaler Ebene unterzeichnete Bulgarien 1970 ein Übereinkommen mit der Türkei, die es den bulgarischen Türk/innen erlaubte zu emigrieren (Familienzusammenführung) und verhinderte, dass die Pomak/innen zusammen mit ihnen das Land verließen, was für zweitere zu einem Problem wurde. Danach gab es eine neuerliche Welle von Namensänderungen. Widerstand wurde streng bestraft. Abhängig vom jeweiligen Gebiet wurden die Namensänderungen von einer Zeremonie begleitet oder es gab Hausbesuche, wobei man aus einer Liste einen bulgarischen Namen auswählen konnte. |
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In einem späteren Bericht von Amnesty International gibt es einen Augenzeugenbericht aus einer Stadt in den Rhodopen: „… vor dem Kulturhaus wurde ein langer roter Tisch aufgestellt, es waren alle örtlichen, staatlichen und kommunistischen Beamt/innen anwesend, ebenso wie Truppen mit geladenen Waffen, um für Ordnung zu sorgen. Die bulgarischen Mohammedaner mussten über einen roten Teppich zu einem Tisch gehen, einer nach dem anderen, ihre alten Identitätspapiere übergeben, dann neue, mit einem bulgarischen Namen, an sich nehmen und den Beamt/innen öffentlich danken.“ Machte man da nicht mit, waren die Konsequenzen anfänglich bürokratischer Natur. Ohne neue Identitätspapiere wurden Gehälter und Pensionen nicht ausgezahlt und Konten eingefroren. Auch war es nicht möglich ein polizeiliches Leumundszeugnis zu erhalten, das man für jegliche Bewerbung für Arbeit brauchte. Über 500 Pomak/innen wurden in das auf einer Donauinsel gelegene „Arbeitslager“ Belene gebracht.
So dienten die Pomak/innen das letzte Jahrhundert hindurch (wenn auch nicht ununterbrochen) als Marker für die umstrittene Demarkationslinie Bulgariens mit seiner osmanischen Vergangenheit.
Zurück in Velingrad trinken wir Kaffee und dann schaue ich mir ein ziemlich zerstörtes Gebäude mitten in einer Wohngegend an. Die Stadt war immer schon ein Badekurort, sagt B., es kamen viele Leute auf Urlaub und mieteten Zimmer von Ortsansässigen. Das Gebäude wurde von den Gästen als Speisesaal verwendet und als Gemeindezentrum, in dem Veranstaltungen stattfanden. Jetzt steht es leer und viele Fensterscheiben sind eingeschlagen. Draußen grast ein Pferd auf der umliegenden Wiese und während wir um das Gebäude herumgehen, erscheint plötzlich der Besitzer. Er ist ein Ortsansässiger, erfährt B. Nach Einführung der Demokratie wurden die staatlichen Subventionen eingestellt, es gab Pläne, das Gebäude zu adaptieren und als preisgünstiges Hotel wiederzueröffnen. Es wurde nichts daraus. Dann wurde es von einer Bäckerei gemietet, die es umbaute, um Lebkuchen herzustellen. Nachdem das Geschäft in Schwung gekommen war, wollte die Firma das Gebäude und das umliegende Land kaufen, aber es gab Komplikationen und so wurden die Geschäfte zeitweilig eingestellt und woandershin transferiert. |