Fast schelmisch bezeichnen sich Lisl Ponger und Tim Sharp als „Künstler/innen-Tourist/innen“, doch die beiden haben mit Klischee beladenen, auf Unterhaltung fixierten Ausflügler/innen wenig gemeinsam. „Recherche als künstlerische Strategie“ ist ein Prinzip, das beide in ihren Arbeiten anwenden. Und auch an das „Bulgarien-Projekt“ gehen Künstlerin und Künstler behutsam heran: In einem erweiterten Brainstorming wurden im Vorfeld Fakten und Geschichten, Materialien wie persönliche Fotos und anonyme Filme, Objekte unterschiedlichster Art zu Bulgarien gesammelt. Das sich daraus ergebende und ständig ergänzte Wissen wurde mit den Eindrücken der Reise verknüpft und fand in der Zusammenstellung von Text und Bild schließlich eine Umsetzung. Mit dem Blick auf die Landschaft erfährt der Begriff „Bild-Sprache“ eine besondere Deutung.
Die Auseinandersetzung mit Bulgarien bzw. der Region, in der EVN Bulgaria tätig ist, vollzieht sich dabei auf zwei, eigentlich drei Ebenen: Eine davon ist auf dem Prinzip eines Tagebuches (Logbuches) aufgebaut – der Text dazu stammt ausschließlich von Tim Sharp. Die zweite Ebene ist visuell und umfasst Fotografien und Filmaufnahmen. Da die Apparate wechselweise von Künstlerin und Künstler bedient wurden, ist eine eindeutige Autor/innenschaft schwieriger feststellbar. Ein Blick aus mindestens zwei Perspektiven ist somit eine wesentliche Komponente dieser Arbeit. Lisl Ponger und Tim Sharp verlassen sich aber nicht nur auf diese eigene Sicht, sondern – und damit ist die dritte Ebene angesprochen – nehmen auch die Geschichten ihrer Umgebung in ihre Arbeit auf. Das Logbuch erweitert sich kontinuierlich im Lauf der Reisetage, verändert sich strukturell und inhaltlich. Einem Roadmovie gleich können plötzliche Ereignisse unerwartete Wendungen ergeben. Die Betrachtenden – die immer auch zugleich Lesende sind – wechseln z.B. von einer verlassenen modernistischen Kinoanlage in eine Brautmodenfabrik. Man hat die Wahl, ein Folklorefest zu besuchen oder abgelegene Mitarbeiterferiensiedlungen zu bestaunen. Der Blick auf das Fußbodenmosaik in der Synagoge von Sofia ist ebenso eine Möglichkeit des Erfahrens wie der gold-gelbe Straßenbelag der bulgarischen Hauptstadt. Fotografische Motive von rostigen Firmenlastwagen wechseln mit filmischen Szenen von engen Gebirgsstraßen. Doch die Beschreibung der Themen und Motive reicht nicht aus, nur durch die Mannigfaltigkeit der Möglichkeiten wird aus Nachvollzug Erlebnis.
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Die DVD ist kein Reiseführer, der unberührte Natur oder erbauliche Kulturdenkmäler zum Thema hat, es gibt keine Restaurantempfehlungen, Hoteltipps oder hottest places to be. Hingegen wird Bulgarien beschrieben, aber nicht auf Fakten und Hinweise reduziert. Die intensive Auseinandersetzung von Künstlerin und Künstler ergibt viele heterogene Gesichter eines Landes: Historisches wechselt mit Aktuellem, Spezielles mit Alltagsbanalität. Lisl Ponger und Tim Sharp erarbeiten sich die Region im Sinne einer sozialen Wahrnehmung und steuern das Erzählte durch die Subjektivität ihres Blicks.
Das gesamte Projekt Logbuch 2006/2007: Eine bulgarische Reise kann aber auch unter einem kommunikativen Aspekt gesehen werden, der das Unternehmen EVN, seine Sammlung zeitgenössischer Kunst und zwei europäische Länder in Wechselbeziehung zueinander umfasst. Kommunikation im Luhmann’schen Sinn ist Synthese von Information, Mitteilung und Verstehen. Kommunikation vollzieht sich erst dann, wenn Verstehen vorhanden ist. Sieht man Kunstwerke als „Sender“ von Kommunikation an, bedeutet das, dass sie informieren und etwas mitteilen. Sie und ihre Inhalte zu verstehen ist Sache des „Adressaten“ oder „Empfängers“. Logbuch 2006/2007: Eine bulgarische Reise bietet ein Musterbeispiel für diesen Kommunikationszusammenhang. Es liefert Information und teilt durch die „Bild-Sprache“ von Künstlerin und Künstler etwas mit. Es zeigt Geschichten verschiedenster Art, wobei der subjektive, aber doch pluralistische Blick von Künstlerin und Künstler unterschiedliche Möglichkeiten der Auseinandersetzung zulässt. Die Stärke des Zugangs liegt in der Vielfalt der sich entfaltenden Varianten.
Heike Maier-Rieper
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