STREET. Untitled: broken shelf
Phyllida Barlow
Bauholzstücke, Gips, Gaze und Stoff
85 × 300 × 75 cm
2010
Ankauf 2011
Inv. Nr. 0210
STREET. untitled: broken shelf kam in zahllosen Einzelteilen an. Grobe Bauholzstücke, mit bunten Fetzen umwickelt, zusammengehalten von knallweißen Gipsklumpen. Nasses Material, das beim Trocknen zum verbindenden Element wird. Atemberaubend, wie die Künstlerin aus dem wüsten Haufen an Kanthölzern ein exuberantes Gemälde in 3 D zusammenstückelte.
Als Hans Ulrich Obrist voll Enthusiasmus von der englischen Bildhauerin Phyllida Barlow erzählte, wusste der Rest des EVN Kunstrates noch nicht, dass weite Teile des prozessualen Werks der Künstlerin nur in Form von Fotodokumenten überliefert sind. Es war eine veritable, eine fabelhafte und faszinierende Entdeckung: Vier Jahrzehnte lang hatte Barlow an der Londoner Slade School of Fine Art Superstars wie Rachel Whiteread oder Douglas Gordon unterrichtet, bevor der internationale Kunstbetrieb auf ihr experimentelles Werk aufmerksam wurde, das Leidenschaft und Emphase, Entschlossenheit und Mut mit einer Passion für Material, Farbe und Volumen verbindet.
Für ihre Skulpturen verwendet Barlow Rohmaterial aus dem Baumarkt: Holzpaletten und Zement, Filz und Schaumstoff, Verschalungsplatten und Kabel, Styropor und Klebebänder. Die Substanzen werden verstreut, gestapelt, angehäuft, zerbrochen, zerschnitten, geschichtet und mit Farbe zugekleistert. Das Thema ist die Stadt. Barlow baut Replikate des ungeliebten, übersehenen, hässlichen städtischen Sperrmülls in die White Cubes der Kunst und inszeniert Szenarios aus Absperrgittern, Balkonen, Zäunen und Schildern, Kanalrohren, Fahnenstangen und Regalsystemen.
Barlows Dekonstruktionen und ihre Entmystifizierung traditioneller Skulpturen und Denkmäler, die sie mit jeder Menge Trash bekämpft, lassen sich auf eine klare politische Haltung zurückführen. Der Straßenmüll in Haufen, die Behausungen der Obdachlosen, die Transparente der Demonstranten, Überwachungsapparate, Barrikaden – die Objekte beziehen sich auf Aktionen, haben eine Geschichte: die Straße als Archetyp des Lebens.
An der musealen Methode des Bewahrens und Erhaltens war Phyllida Barlow nie interessiert. Lieber recycelt sie ihre Arbeiten in einem fließenden Prozess des Erzeugens und Zerstörens. In einer endlosen Kette warten Objekte und die Elemente, aus denen sie gebaut sind, auf ihren Einsatz in neuen Räumen und Kontexten.
Über ihre Skulpturen hat Phyllida Barlow einmal gesagt, sie würden am besten bei Dunkelheit betrachtet. Denn erst wenn sie in der Finsternis verschwunden seien, könne man sie fühlen.
Brigitte Huck, 2011
WeiterlesenPublikationen
Lower Austria Contemporary 2012, St. Pölten 2012, S. 33
evn collection. 2006–2011, Köln 2011, S. 226–228
Phyllida Barlow - Street, , S. 10