Othello
Emilie Pitoiset
Video mit Stereoton, Farbe
Edition 1/5
1' 36''
2006
Ankauf 2011
Inv. Nr. 0212
Wenn Emilie Pitoiset ihre beklemmenden Bildfolgen komponiert, verwendet sie in der Regel Fotos oder Filme, die sie gefunden hat, ob in der Geschichte des großen Kinos oder beim Trödler. Ihre Umsetzungsmethoden reichen von Kopie oder Plagiat bis zur Nachahmung oder Verfälschung. In die narrativen Konstruktionen mischt sich pure Erfindung. Die Arbeiten oszillieren zwischen Momenten banaler Normalität, Pathos und dem Gefühl lauernder Gefahr.
Die Serie Just because beruht auf Knipserfotos der 1950er-Jahre. Zu sehen ist eine Gruppe junger Leute, die gut gelaunt in die Kamera schauen. Sie stehen um einen jungen Mann, der mit einem Gewehr auf jene Person zielt, die das Foto macht. Die Bilder sind offensichtlich im Trubel eines Volksfestes entstanden. Was die Künstlerin an ihnen interessierte, ist neben dem merkwürdigen Duell (Fotoschuss gegen Gewehrschuss) der hoch konzentrierte Gesichtsausdruck des Schützen. Würde er anders auf uns Betrachter zielen, wenn es keine Pose wäre?
Auch bei den beiden Videoarbeiten der evn sammlung sind Schusswaffen im Spiel. In dem kurzen Film Othello sieht man ein im Kreis gehendes Dressurpferd und dessen Trainer, der dem Tier Tanzschritte einbläuen will, indem er es mit einer Pistole bedroht. Schließlich setzt er zum Todesschuss an, der Schimmel geht pathetisch zu Boden. Die opernhafte Inszenierung ist derart suggestiv, dass die Betrachter gerne übersehen, dass es de facto subtile Bewegungen der Peitsche und kaum merkbare Kommunikationsgesten des Abrichters sind, die das Verhalten des Pferdes steuern. Zwischen der Logik der Handlung und der Logik des Bildes gibt es also eine Differenz.
Arbeitet Pitoiset bei Othello mit der klassischen Dramaturgie dramatischer Zuspitzung, so ist man bei Miss Misery mit einem völligen Fehlen von deutbaren Handlungselementen konfrontiert. Schon der Schauplatz, ein heruntergekommener Spielplatz am Rand eines Ortes in der Provinz, wirkt auf merkwürdige Art zufällig. Da nichts passiert, hat man Zeit, auf Details zu achten, zum Beispiel auf die einst sicher intensiven, aber im Lauf der Zeit fahl gewordenen Lackfarben des Gestänges der Schaukelkonstruktionen. Noch bunter sind zwei Blechtonnen, die als Schaukeln dienen und die nach und nach die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Auf einer sitzt eine Person mit Tiermaske, die sich in Zeitlupe hin und her bewegt und mit einer Pistole herumfuchtelt. Mit dem Auftauchen dieser Figur setzt billige, enervierend statische Automatenmusik ein. Die disparaten Schau- und Hörinformationen setzen sich zwar zu keiner stringenten Geschichte zusammen, dienen aber der poetischen Konstruktion einer ungreifbaren Atmosphäre niederschwelliger Spannung. Ähnliches kennt man von Einstiegssequenzen in Italowestern oder Thrillern, in denen mit verstörenden Idyllen auf drohendes Unheil vorbereitet wird.
Emilie Pitoiset spielt mit Erwartungen. Ihre Werke, so Marc Clément, der die Ausstellung Animals Can’t Laugh kuratierte, „konfrontieren die Betrachter mit ihren Wahrnehmungsmöglichkeiten und deren unvermeidlichen Beschränkungen wie dem obsessiven Verlangen, Wahrheit und Einbildung zu unterscheiden“.1
Wolfgang Kos, 2011
1) Marc Clément, Pressetext zur Ausstellung Emilie Pitoiset. Animals Can’t Laugh, Casino Luxembourg – Forum d’art contemporain, Luxembourg 2008.
WeiterlesenAusstellungen
Now, At The Latest. Videos und andere Sehenswürdigkeiten aus der evn sammlung, Kunsthalle Krems, Krems, 2015
Publikationen
Now, At the Latest, Maria Enzersdorf 2015, S. 6 f
evn collection. 2006–2011, Köln 2011, S. 118–121