Vues D'Amérique Du Nord
Christian Kosmas Mayer
Tapete #10 (von 32 Motiven)
Unikat
210 × 57 cm (gerahmt)
2008
Ankauf 2011
Inv. Nr. 0213
Ornament und Aufklärung müssen einander nicht widersprechen. Christian Mayer, der mit kulturgeschichtlichem Interesse historisches Bildmaterial aufspürt, legt dieses nicht auf direktem Weg offen. Er schickt die Betrachtenden auf Umwege, indem er über seine Fundstücke eine Art schönen Schleier legt, einen Filter, der die Wissensvermittlung, um die es letztlich geht, aufschiebt. Oft wird das Material in ornamentaler Anordnung gezeigt, als Großbild im Raum oder – auf der Weihnachtskarte der EVN von 2008 – als dunkle Silhouette auf Goldgrund. Unter dem Titel El Dorado bezog er sich auf eine Panoramatapete aus dem 19. Jahrhundert, als der Kolonialismus die außereuropäischen Kontinente beherrschte. Das Muster zeigt üppige Pflanzenpracht als Bezug zu dem legendenumwobenen Ort in Südamerika, der in indigenen Sagen mit der Suche nach Gold verknüpft war. Später wurde „El Dorado“ im Sprachgebrauch ganz generell zu einem Ort der utopischen Sehnsucht. Aber all die Schönheit der exotischen Landschaft kann nicht verbergen, wie viel Leid und Zerstörung die Suche nach Gold nach sich zog.
Auch die 2010 für die evn sammlung erworbene umfangreiche, aus 450 Polaroids bestehende Arbeit führt in die Geschichte und Legendenwelt Lateinamerikas. Worum es geht, ist bei der ersten Begegnung jedoch nicht erkennbar: Zu sehen sind Wandtafeln mit einer Rasterung und einer Flut bunter Images. Manchmal sieht man die Fotos, manchmal deren Rückseite. Man vermutet, dass hinter der Präsentation eine archivarische Ordnung verborgen sein könnte. Tatsächlich sind die Bilder zu Themengruppen zusammengestellt, die Titel wie Jäger, Feuer oder Koloniales Interieur tragen.
Entstanden sind die Polaroids 1986. Sie dokumentieren die Dreharbeiten des Monumentalfilms The Mission von Roland Joffé mit Robert de Niro und Jeremy Irons in den Hauptrollen. Berühmt wurde Ennio Morricones opulente Filmmusik. Thema des Historienfilms war das Experiment der Jesuiten, im 17. Jahrhundert einen unter dem Schutz der portugiesischen Truppen stehenden katholischen „Staat“ im paraguayischen Dschungel zu errichten, um das dort lebende Volk der Guaraní zu bekehren und in ein christliches Gemeinwesen einzubinden. Das Projekt endete mit einem Massaker. Christian Mayer stellt die Fotos, die er gefunden hat, allerdings so zusammen, dass alle direkten Hinweise auf den Film (Kameras, Schauspieler, technisches Equipment etc.) verdeckt sind. So entsteht ein Wechselspiel von Unsichtbarem und Offensichtlichem. Doch auch das Sichtbare der tropischen Welt birgt ein Geheimnis: Denn für die Dreharbeiten von The Mission wurde ein gesamtes Dorf in Kolumbien umgesiedelt.1 Die Frage der Authentizität stellt sich damit gleich auf mehreren Ebenen: Welche Welt glauben wir zu sehen? Mayers Arbeit verweist nicht nur auf die Geschichte und die Konstruktion von Bildinhalten, sondern auch auf die historischen Medien selbst: Das gilt für die ungewöhnliche und modische Form illusionistischen Wandschmucks von Stofftapeten mit großformatigen Bildern ebenso wie für das Medium Polaroid, dessen Produktion inzwischen eingestellt wurde. Bald wird man erklären müssen, was das Ungewöhnliche und Neuartige an den kleinen Bildern mit den unnatürlichen Farben war.
Wolfgang Kos, Heike Maier-Rieper, 2011
1) Im Gespräch erzählt der Künstler, dass Joffé ursprünglich im Gebiet der Iguazú-Wasserfälle (Grenzgebiet Brasilien/Argentinien) auf der Suche nach bestimmten dörflichen Strukturen war, diese aber dort nicht mehr antraf und deshalb auf ein kolumbianisches Dorf auswich.
WeiterlesenPublikationen
evn collection. 2006–2011, Köln 2011, S. 176–185