Section VII
Ayşe Erkmen
Emaillierte Stahlplatte
80 × 52 cm
2010
Ankauf 2011
Inv. Nr. 0220
Gemütliche Ecken nennt Ayşe Erkmen zehn Skulpturen, die 2009 für das Projekt „Utopie und Monument“ im Rahmen des steirischen herbstes temporär in der Grazer Innenstadt aufgestellt waren. Die bis zu zweieinhalb Meter hohen und breiten Platten unterschiedlichen Formats, glatt und bunt lackiert, aus Aluminiumverbund, wurden lässig an diverse Elemente des Stadtraums (Lampen, Poller, Bäume etc.) gelehnt. Mit diesen Arbeiten sprach die Künstlerin, die vorwiegend ortsspezifisch vorgeht, eine spezielle Situation an. Nach einem länger zurückliegenden Aufenthalt wieder in Graz, war der Künstlerin die immense Zunahme verschiedenster urbaner Informationsträger (kommerzieller wie nicht kommerzieller Art) aufgefallen. Sie antwortete darauf mit einem Gegenentwurf. Ihre Gemütlichen Ecken verzichteten vordergründig auf schriftliche oder bildliche Inhalte und überzeugten durch Präsenz, Abstraktion und eine gewisse Zufälligkeit in Positionierung und geometrischer Form. „Erkmens Ziel liegt auch darin, etwas Unsichtbares sichtbar zu machen und einen ästhetischen wie poetischen oder kulturkritischen Erkenntnisprozess auszulösen“, sagt Silvia Eiblmayr.* In diesem Fall wird die gesellschaftliche Frage nach der (Be-)Nutzung und Besitznahme des öffentlichen Raumes gestellt. Ein Problem der aktuellen Städteplanung und Urbanistik, das mit der zunehmenden Privatisierung öffentlicher Plätze und Gebäude an Brisanz gewinnt. Doch konkrete zweckmäßige Lösungen bietet Ayşe Erkmen nicht an, ihre Arbeiten lassen einen großen Spielraum für individuelle und ästhetische Erfahrungen.
So baute sie zum Beispiel in der Installation Plan B für den türkischen Beitrag zur Biennale von Venedig 2011 eine Trinkwasseraufbereitungsanlage in das Gebäude des Arsenals. Die technische Vorrichtung war so konstruiert, dass Wasser aus dem Kanal in einem komplizierten Prozess aufbereitet wurde, um wieder zurückgepumpt zu werden. Der Reinigungsprozess wurde durch ein spezielles Farbschema der Künstlerin visualisiert. Und so wurde aus der industriellen, zweckgebundenen Reinigungsanlage eine modernistische Skulptur, die zum Denken anregte. Die Verwendung verschiedenster Techniken und Werkstoffe bis hin zu immateriellen Formen (wie Sprache oder Audiostücke) lässt die Kunst von Ayşe Erkmen vielfältig erlebbar werden. Obwohl sie teilweise in monumentalen Dimensionen ausgeführt werden (z. B. Shipped Ships, 2001), sind die Eingriffe selbst reduziert, niemals überladen – formal minimalistischen Kunstwerken der 1960er-Jahre ähnlich.
Das gilt auch für die Serie der Sections. Sie stellen sich als die kleinen Schwestern der Gemütlichen Ecken aus Graz vor, sind jedoch für die Hängung in Innenräumen konzipiert. Statt des strapazierfähigen Aluminiums wurde hier das viel umsichtiger zu verarbeitende Email verwendet, durch die Luzidität der Farben ein perfekter Werkstoff der Schmuckindustrie und eine uralte Technik aus der Frühgeschichte der Menschheit. Wie die Grazer Ecken sind sie durch unregelmäßige Schnitte („sections“), gestanzt wirkende Geometrien, ohne ersichtliche Systematik gekennzeichnet. Und wie die Lösungen für den Stadtraum verwirren auch sie durch ihre vorgetäuschte Zeichenlosigkeit und gestalten ihr Umfeld doch mit. Diesmal – „prêt à porter“ – als Kammerstücke für eine kleinere Schar von Fans.
Heike Maier-Rieper, 2015
* Silvia Eiblmayr, „Ayşe Erkmen. Gemütliche Ecken“, in: Sabine Breitwieser und steirischer herbst (Hg.), Utopie und Monument, Wien 2011, S. 67.
Ausstellungen
Wallpaper #6, evn sammlung, Maria Enzersdorf, 2023
Publikationen
Ayşe Erkmen & Mona Hatoum. Entortungen, Leipzig 2017, S. 100 ff
evn collection. 95–2015 Jubilee, Wien 2015, S. 129–133
Utopie und Monument, Ausstellung für den öffentlichen Raum. steirischer herbst 2009–2010, Graz 2011, S. 66