Ali
Markus Schinwald
Marionette, Bewegungsmelder, Motor, Kleidung, Holz, Schnüre
H ca. 170 cm
2011
Ankauf 2012
Inv. Nr. 0227
In seiner brisanten Mischung von Vertrautem und Befremdlichem ist das Werk von Markus Schinwald so vielschichtig wie rätselhaft. Er ist ein Meister in der Organisation seiner Bildwelten: Ihre äußere Erscheinung ist stets ästhetisch perfekt und artifiziell, ihr geheimnisvolles Innenleben aber abgründig und höchst beunruhigend.
Er heißt Ali und sieht aus wie ein Geografielehrer aus den 1980ern, trägt einen einigermaßen banalen Anzug und einen viel zu üppigen Schal. Der Mann ist nervös. Kommt man ihm näher, beginnt er mit dem linken Fuß hektisch auf den Boden zu trommeln. Der Fuß hängt an einer durchsichtigen Angelschnur und wird von einem Bewegungsmelder in Gang gesetzt. Die Fäden verweisen auf jene Kontrolle, die eine unsichtbare Macht ausübt. Marionetten wie diese sind Markus Schinwalds gefährlichste Werkgruppe. Jenseits der Norm kippen sie aus der Normalität. Sie sind lebensgroß, sitzen oder stehen auf Schaukeln, zappeln auf Stühlen herum oder beobachten, wie Statler und Waldorf aus der Muppet Show, von einem Balkon hoch oben das Geschehen. Und alle haben sie kleine neurotische Ticks. Schienbeine sind da wichtig, Füße, Hände und Schultern. Otto hieß der Prototyp. Im Film Children’s Crusade führt er den Kinderkreuzzug an. Zu Benjamin Brittens Chormusik folgen Mädchen und Buben einem unheimlichen Riesen im grauen Businessanzug. Mithilfe einer Rollmechanik alternieren Gesichtszüge und Gesichtsausdruck der Marionette. Weder gut noch böse, zeigen sie zwei Seiten einer Person. Nicht erst seit E. T. A. Hoffmann 1816 seine Erzählung Der Sandmann veröffentlichte, hat das Phantasma der Automaten und des mechanischen Menschen Künstlerinnen und Künstler fasziniert. Schinwalds Marionetten sind ausdrucksstarke Stilmittel. Er legt keinen Wert darauf, sie wie die Androiden der Science-Fiction möglichst menschenähnlich zu gestalten. Im Gegenteil, er verwendet historische Puppen, versieht sie mit kleinen optischen Fehlern, baut krasse Bewegungsabläufe ein und kehrt das satirische, parodistische Potenzial der Apparate hervor. Seine Affären mit Veränderung, Verbesserung und Zurichtung haben eine lange Geschichte. Sie basiert auf dem Körper als kultureller Konstruktion. Schinwald driftet über Kulturen, Medien und Genres hinweg und begibt sich in eine nicht zu erdferne Umlaufbahn, von der aus er einen guten Blick auf die Schauplätze verwischter Identität, verschobene Realitätsebenen und sein Puppentheater hat.
Brigitte Huck, 2005
WeiterlesenAusstellungen
small medium large. Skulpturen und Objekte aus der evn sammlung, evn sammlung, Maria Enzersdorf, 2022
The Cindy Sherman Effect. Identität und Transformation in der zeitgenössischen Kunst, Kunstforum Bank Austria, 2020
Markus Schinwald, CAPC Musee d'art contemporain, Bordeaux, 2013
Publikationen
The Cindy Sherman Effect. Identität und Transformation in der zeitgenössischen Kunst [erscheint anlässlich der Ausstellung „The Cindy Sherman Effect. Identität und Transformation in der zeitgenössischen Kunst“, Bank Austria Kunstforum Wien, 29. Januar bis 21. Juni 2020], München 2020, S. 136
evn collection. 95–2015 Jubilee, Wien 2015, S. 316 f