Gagarin in Space
Luchezar Boyadjiev
Aufblasbares Objekt, Gummi, Styrofoam, Papier und Klebeband
ca. 150 × 60 × 50 cm
2011
Ankauf 2012
Inv. Nr. 0234
Luchezar Boyadjiev ist einer von den Unentwegten und Beweglichen in osteuropäischen Kunstbiotopen. Den radikalen Bruch im politischen und ökonomischen System der sozialistischen Gesellschaften beschreibt er mit Ironie und kritischer Distanz. Dennoch ist Sofias „scene and herd“ undenkbar ohne ihren wichtigsten Mittelstürmer.
Das Werk in der evn sammlung heißt Gagarin in Space und hat eine spannende Biografie: Ausgestattet mit einem Getty-Stipendium verbringt Boyadjiev das Jahr 1993 in New York, wo er die Arbeiten von Christo und Jeanne-Claude im Whitney Museum studiert. Im Souvenirshop des Metropolitan Museum kauft er ein schräges Objekt, eine aufblasbare Dekorationsmumie. Bis zum Jahr 2011 passiert nichts. Dann aber schlägt Iara Boubnova eine Ausstellung für die ICA-Galerie in Sofia vor. After the Flight soll an ein Weltereignis erinnern: 50 Jahre sind seit dem ersten bemannten Raumflug am 12. April 1961 vergangen. In 108 Minuten umkreiste Juri Gagarin damals den Erdball. Und bald besuchte der „Held der Sowjetunion“ die bulgarische Hauptstadt, als zweite Station auf seiner „World Tour“. Ein Foto zeigt ihn eine weiße Taube haltend.
Luchezar Boyadjiev wird an der Ausstellung teilnehmen. Ihm fällt die längst vergessene Mumie wieder ein. Schnell entschlossen überklebt er ihr Gesicht mit dem Porträt Gagarins und lehnt die luftgefüllte Skulptur kopfüber an die Galeriewand – die Schwerkraft ist bekanntlich aufgehoben im All.
Gagarin, der den berühmten SK-1-Raumanzug trägt, strahlt triumphierend in die Kamera, und Boyadjiev gelingt es mit dem Bild, universellen Optimismus und den Fortschrittsglauben einzufangen, der die Menschheit damals in Atem hielt. Der Kosmonaut als Popstar, der kostspielige Attraktionen wie die Raumfahrt und nebenbei noch die Ideologie seines Landes verkaufen soll.
Wenn Boyadjiev heute über sein Werk nachdenkt, dann gefällt ihm vor allem die Idee der schützenden Kapsel, die das Reisen durch Zeit und Raum bzw. das Überschreiten von Grenzen aller Art erst möglich macht. Auf mittelalterlichen Fresken entdeckt er „Raumschiffe“, wie etwa Mandorlen, die Christus als Pantokrator umschließen. Ähnlich wie bei Astronauten steckt der Körper in einer Hülse, die sich durch die Galaxis bewegt. Darüber hinaus bezieht sich Boyadjiev auf den ägyptischen Totenkult der Masken und Mumienporträts.
Gagarin in Space ist auch Prototyp einer Serie, die der Künstler 2012 für die erste Kiew-Biennale in der Ukraine entwickelt hat. Sie besteht aus zwölf Mumien, die in Sofia nach dem New Yorker Vorbild produziert wurden. Neben Gagarin treten Celebrities wie Mao, Stalin, Einstein oder Steve Jobs auf, aber auch Dobby, der Hauself aus Harry Potter, der aussieht wie Putin. Alles Persönlichkeiten, die nach Belieben aufgeblasen und wieder entsorgt werden können.
Damit das Objekt in der evn sammlung nicht immer neu aufgeblasen werden muss, hat Boyadjiev Gagarin in Space mit Styroporkugeln gefüllt. Die Oberfläche wirkt jetzt zwar weicher, dafür aber ist das Volumen beständig.
Brigitte Huck, 2015
WeiterlesenPublikationen
evn collection. 95–2015 Jubilee, Wien 2015, S. 80 ff