Putting in time (08/31/87)
Christian Kosmas Mayer
Original SW-Fotografie aus Zeitungsarchiv, Digitaldruck
Unikat
53 × 66 × 3 cm (gerahmt)
2012
Ankauf 2013
Inv. Nr. 0246
Was die Archäologien des Existenziellen in den Stadtruinen von Pompeji mit der eher zeithistorischen Voyager Golden Record oder den Wegwerfartikeln in Andy Warhols Pappkartons verbindet, ist der Umstand, dass sie alle in eine Kategorie gehören: in die der Zeitkapseln.
Im Amerika des mittleren 20. Jahrhunderts war das Verknüpfen von Raum und Zeit populär wie die gerade aufkommenden Fernsehgeräte. Kein Grundstein durfte gelegt, keine Raumsonde verschickt, keine Weltausstellung eröffnet werden, ohne dass Behälter mit zivilisatorischen Botschaften an die Zukunft hinterlassen wurden.
Für die Werkserie Putting in time analysiert Christian Mayer das Phänomen Zeitkapsel: Typus, Lagerort, Zeremoniell der Legung bzw. Öffnung, Inhalt. Dafür sucht er auf Flohmärkten und im Internet nach Pressefotos aus aktuellen und historischen Zeitungsarchiven, die Motive zum Thema zeigen. Die Rückseite mit handschriftlichen Notizen, Agenturstempeln und der aufgeklebten Kopie des veröffentlichten Artikels wird kopiert, vergrößert und als Passepartout für das eigentliche Pressefoto verwendet. Meist werden Ereignisse von regionaler Bedeutung dokumentiert, etwa die Bevölkerung von Aurora, Illinois, die sich für die feierliche Öffnung einer 1877 von Veteranen des amerikanischen Bürgerkriegs (1861–1865) platzierten Kapsel in Kostümen der Zeit versammelt. Anlässlich der 150-Jahr-Feier der Stadt 1987 wurde die Zeitkapsel, die im Grundstein des Versammlungshauses und Museums versenkt war, geöffnet: Man fand eine Bibel, Münzen, Zeitungen vom 3. Juli 1877 und ein gebundenes Werk über lokale Ereignisse während des Civil War.
Aus der Zeit gefallen, entwickelt die Dokumentation des Ereignisses – in sich selbst eine Zeitkapsel – in Mayers neuem Kontext neue Energien.
Den Wandarbeiten sind Allochthone zugeordnet, versteinerte Baumstämme aus Madagaskar. Sie haben 200 Millionen Jahre in einer Schwemmlandebene unter Wasser und ohne Sauerstoff überdauert. Vulkanasche hat sie bedeckt, langsam drangen Sedimente in die Stämme, Holz wurde zu Stein. Die transformierte Materie hat Form und Aussehen behalten, nur dort, wo sie geschliffen und poliert ist, schimmert sie an den Bruchstellen wie Edelstein. Über das rein biologische „Morphing“ hinaus schlägt der Künstler mit seinen Found Objects das facettenreiche Kapitel von Kopie und Fälschung auf: Kunstrezeption ist formatiert durch Interpretationen, Erklärungen und Kommentare, ein voraussetzungsloses Sehen, so die Botschaft, gibt es nicht.
Brigitte Huck, 2015
WeiterlesenPublikationen
evn collection. 95–2015 Jubilee, Wien 2015, S. 266–269