„Laubmacher“ sind Handwerker, die naturgetreue Blattornamente in Konsolen oder Säulen hauen. Der möglichst naturgetreu wirkende Schmuck am Bau, der sich vorwiegend an Kirchen im hochgotischen Stil findet, symbolisiert Leben und Natur. Blatt- und Rankenmotive sind auch aus der mittelalterlichen Buchmalerei bekannt. Hier zeigen sie Naturnähe gleichermaßen wie Kunstfertigkeit.

Die Fragen nach Könnerschaft oder künstlerischer Kompetenz sind auch ein zentrales Thema in der Arbeit von Min Yoon. Aber im Gegensatz zum „frischen“ und kleinteiligen Laubwerk der Kathedralen ist das „Blatt“ von Min Yoon überdimensional groß und in einem herbstlichen Braunton gehalten. Die Ränder sind aufgerollt, zu Teil ausgefranst, auch Nähfäden sind sichtbar. Das naturgetreue Abbild verführt den Blick und man glaubt, die künstlerische Intention in der Perfektion der Nachbildung zu erkennen.

Viele Arbeiten des Künstlers, der an der der Akademie der bildenden Künste „Konzeptuelle Bildhauerei“ studierte, kreisen um das Thema der künstlerischen Produktion und die Arbeitsbedingungen von Kunstschaffenden. Einfache Geräte wie Schreiber und Stifte, Farbtuben oder Schreibblöcke werden in Assemblagen verarbeitet. Die Gebrauchs- und Produkt-Ästhetik dieser Gegenstände wird Teil der künstlerischen Auseinandersetzung. Das in penibler Handarbeit gefertigte Objekt aus Schweinsleder ist ein Gegenpol zu der Massenware aus der Papeterie, in dem auch die Vielfalt der kreativen Produktion und das Oszillieren zwischen „originaler“ Handschrift und konzeptuellem Prozess sichtbar werden.

Heike Maier-Rieper, 2022