Chinesische Reise, eine Begegnung
Walter Obholzer
Vorphotographie, Farbe auf Papier, Passepartout-Ausschnitt
ΓΈ 61 cm (gesamt), Fotografie 51.5 cm
1986
Ankauf 2018
Inv. Nr. 0370
„Als Künstler“, sagte Walter Obholzer einmal, „muss man völlig Zeitgenosse sein, und nicht ein moderner Künstler. Moderne ist nicht mehr als ein Stilbegriff.“ Ein Statement wie dieses, vom wichtigsten konzeptuellen Maler Österreichs, könnte Aufmacher für eine Sammlung wie die der EVN sein, die vom Start weg Wert aufs Aktuelle gelegt hat. Für das außerordentlich spannende Kapitel an Arbeiten aus der Gegenwart wären Obholzers Werke Green Dumpling, Blue Dumpling und Yellow Dumpling, alle 1995, sowie Green Otaku von 1997, aus dem Inventar der evn sammlung eine mehr als angemessene Referenz. Mit der knappen ästhetischen Rhetorik des Ornamentalen, das der Künstler als Vehikel fürs Universelle einsetzte, und mit der anonymisierenden Spritztechnik auf extrem hartem Aluminium, die den Verzicht auf persönliche Handschrift bedeutete, trat Obholzer gegen Meisterwerke und für Reflexionssysteme an.
Der letzte Ankauf Chinesische Reise, eine Begegnung (Vorphotographie) 1986, gehört zu einem frühen Werkkomplex Obholzers: den Vorphotographien.
Die Vorphotographien sind eine Reihe gemalter Schwarz-Weiß-Bilder, die auf den ersten Blick wie Fotografien wirken. Den Großteil der Vorlagen für diese Bilder fand Obholzer in alten Filmmagazinen, die er mittels mehr oder weniger starker Eingriffe veränderte, neu zusammenstellte und mit schwarzer Acryl-Farbe auf Papier kopierte. Obholzer ging es darum, Fotografien, die vor der Erfindung fotochemischer Techniken gemacht wurden, selbst zu erzeugen.
Über diese äußerst seltenen Arbeiten sagt der Künstler 1987 in der legendären KUNSTFORUM-Ausgabe „Insel Austria“: „die Vorphotographien sind die Inszenierung einer Idee, Schablone und Vektor für eine Art der Erinnerung, und die Beglaubigung für Vorstellungen über die Vergangenheit. Ich verwende dafür ausschließlich den Luftpinsel, um die Homogenität der Malerei nicht zu stören. Das Papier ist ungewöhnlich weich und die Farbe dringt dadurch stark ein. In Anlehnung an heutige Anwendungsbereiche der Fotografie habe ich frühe Reisephotographie, frühe Modephotographie, frühe Dokumentaraufnahmen, frühe Sportphotographie gesucht und gefunden. Einige der Bilder stammen von berühmten Fotografen, wie etwa die Reisebilder aus China.“
Fotografie als analoge Technik und System teilt auch viel über die Empfindungen der BetrachterInnen und ihrer Zeit mit. Die Vorphotographien versetzen die Erfindung der Fotografie durch den handwerklich akribischen Einsatz der Malerei ins 18. und frühe 19. Jahrhundert. Sie lassen uns erkennen, dass wir historische Objekte und Situationen nicht länger mit den Augen vergangener Jahrhunderte wahrnehmen und begreifen können. Denn, wie Susan Sontag meint, Fotografie ist keine Interpretation, sondern ein Abdruck der Wirklichkeit – wie ein Fußabdruck oder eine Totenmaske.
Brigitte Huck, 2021
WeiterlesenPublikationen
Vorfotografie, Wien 1986