With the mighty purpose of leading
Marina Faust
Pigmentdruck auf Seidenpapier auf mattem Papier
Aluminiumrahmen, Museumsglas
109 × 84 cm
2018
Ankauf 2018
Inv. Nr. 0372
Was Kunst heute ist oder was sie sein soll, was sie tut oder sein lässt, ist ziemlich unklar.
Das Werk With the Mighty Purpose of Leading von Marina Faust hilft da nicht unvermittelt und kommentarlos weiter. Zunächst glaubt man, ein Gemälde zu sehen, ein kubistisches vielleicht. Éric Troncy, den Direktor des Museums Le Consortium, erinnerten die Arbeiten an Albert Gleizes, als er die neue Werkserie der Künstlerin 2018 in Dijon ausstellte.
Es sind Porträts von Frauen, manchmal, wenn man so will, Selbstporträts, manchmal frei erfundene Figuren, Rollenbilder. Einen Anstoß zu dieser Arbeitsweise gab Martin Kippenberger, mit dem Marina Faust 1996 in einem Wiener Wirtshaus saß. Kippenberger stellte sich vor, wie sie wohl in 15 Jahren aussähe, fertigte eine Zeichnung an und überreichte ihr das Blatt mit den Worten „It’s only you“, was zwölf Jahre später zum Titel ihrer Solo-Show in Dijon wurde.
Und dann waren da diese Stickerblocks: ein Spiel, mit dem Kinder vorgedruckte, „leere“ Gesichter mithilfe von Aufklebern in Stereotype verwandeln sollten. Sie inspirierten Marina Faust zu jener komplizierten Technik, die sie speziell für die experimentelle Porträtserie Faces entwickelte, die im Rahmen der Ausstellung Once on TV in der Galerie Gianni Manhattan ihren ersten Auftritt in Wien hatte: Aus einem Haufen unterschiedlicher Papierreste entstehen Gesichter in verschiedenen Zuständen der Zerrissenheit, der Dekonstruktion, aber auch der planmäßigen Komposition und Montage. Mit schnellen Handyfotos überprüft Marina Faust in Etappen das Ergebnis, bestimmt, wann die Arbeit fertig ist, und überträgt sie auf den Computer. Dort präzisiert, ändert, verbessert sie die Farben und druckt das Foto anschließend mit einem Pigmentdrucker auf halbdurchsichtiges Seidenpapier, das auf Fotopapier aufliegt. Schließlich wird das Seidenpapier abgelöst und hängt lose von den oberen Ecken.
Alles miteinander in Verbindung bringen, alles flexibel und offen halten, ist, so gesehen, das Motto der Künstlerin. Materialität und Bildform sollen sich ändern, nichts soll statisch bleiben. Aus analogen Fragmenten werden Collagen, bewegliche Schichten von Signifikanten, die etwas Performatives mit sich bringen. Titel wie Outlaw Nurse, Sleepless Warrior, Makes Pilote Blush oder Possible Candidate beschreiben die Figuren, die Faust erfindet. Beschreiben ihren Zustand. Wenn Marina Faust ins analoge Material hineinfotografiert, findet sie neue Formen und Formate. Sie zerlegt die Elemente und setzt sie wieder zusammen. Man kann als BetrachterIn nicht aufhören, die Spuren dieses Prozesses zu erkunden.
Fotografie ist die Basis der Arbeit von Marina Faust. In fünf Jahrzehnten hat sie in den Bereichen Film, Video, Installation und Objekt bemerkenswerte Arbeiten produziert. Nicht zu vergessen neben ihrer äußerst produktiven Zusammenarbeit mit Künstlern wie Franz West und Nicolas Jasmin oder ihrer 20-jährigen Kollaboration mit dem Modeschöpfer Martin Margiela sind die Reportagen aus dem Umfeld der Wiener Avantgarde der 1970er Jahre.
Faust führte lange ein Leben auf der Reise, zwischen Wien, Paris und der Toskana, und dafür brauchte sie gelegentlich einen ihrer Traveling Chairs: auf hohen Industrierollen montierte Sessel, die ursprünglich für die Kamerafahrten (traveling shots) ihrer Videoarbeit Gallerande (2004) entwickelt worden waren. Inzwischen werden sie als Objekte in ihren Ausstellungen eingesetzt, die den BetrachterInnen eine leicht verschobene Perspektive auf die Werke anbieten. Wer darauf sitzt, braucht eine/n Partner/in, der/die den Sessel schiebt. Allein kommt man nicht weit.
Brigitte Huck, 2021
WeiterlesenPublikationen
Marina Faust [Katalog erscheint anlässlich der Ausstellung „Marina Faust“ Otto-Breicha-Preis für Fotokunst - Museum der Moderne Salzburg 2019, 26. September 2020 bis 14. Februar 2021], Salzburg 2020, S. 144