Versteinert (Pferdekopf)
Christian Kosmas Mayer
Plüsch, Kalkstein
35 × 35 × 25 cm
2015
Ankauf 2019
Inv. Nr. 0408
In der Nähe der nordenglischen Stadt Knaresborough befindet sich ein petrifying well, ein „versteinernder Brunnen“: eine Quelle, die organische wie anorganische Objekte versteinert.
Täglich fließen 3200 Liter Wasser, das Kalk- und Natriumsulfat in extrem hoher Konzentration enthält, über einen Felsen, der die Form eines Riesenhauptes hat. In die Touristenattraktion hängte Christian Kosmas Mayer den Kopf eines Plüschpferdes, der nach einem Jahr unter dem fallenden Wasser seine heutige „versteinerte“ Form angenommen hat.
Für die Intervention Musis et Mulis (Musen und Maultiere) 2013 im Prunkstall des Prinzen Eugen im Schloss Belvedere installierte Mayer den versteinerten Pferdekopf und ein Video über die Umstände seiner Entstehung gemeinsam mit einer dichten Präsentation aus mittelalterlichen Sakralgemälden und versteinerten Baumstämmen für die Ausstellung Der Meister von Schloss Lichtenstein und seine Zeit des Museums. Wenig später rekonstruierte er das Format europäischer dripping bzw. petrifying wells mit Stofftieren und Höhlenelementen im Museum moderner Kunst in Wien. Die Stofftiere waren zuvor im Jardin des Fontaines Pétrifiantes in La Sône, Frankreich, platziert worden; während das Wasser dort verdunstete, überzog es die Stofftiere nach und nach mit einer Steinschicht. Im mumok waren die Versteinerungen optisch deutlich zu identizifieren, dennoch rätselten die MuseumsbesucherInnen zwischen den Erzählungen über Lots Weib, dem Bergmann von Falun und der existentiellen Archäologie von Pompeji. Objekte wurden zu Formen der Erinnerung, zu Zeitkapseln, wie die eher historisch interessante Voyager Golden Record oder die Wegwerfartikel in Andy Warhols Pappkartons.
Für Trivialitäten wie die Abbildung von Wirklichkeit hat sich Christian Kosmas Mayer nie interessiert. Ebenso wenig dafür, irgendetwas zu erfinden. Wie die Birdwatcher, die sich von Ornithologen durch einen gewissen methodischen Freestyle unterscheiden, ist Mayer eher an (historischen) Phänomenen und Dispositiven interessiert als an universellen Gesetzmäßigkeiten. Häufig richtet er sein Teleskop in die Vergangenheit und zoomt Ereignisse heran, Episoden und Begebenheiten, die Spuren im gesellschaftlichen Gefüge hinterlassen haben. Die schönsten Resultate der Schürfarbeit des detailgenauen Analysten liegen im Herauspräparieren eines exakten Ausschnitts. Als Virtuose der Mehrfachbelichtung fügt er die Ergebnisse seiner Recherchen zu Systemen gefundener, erlebter und wieder vergessener Bilder zusammen. Planmäßig, Schritt für Schritt fördert er alternative Konzepte von Realität zutage, ordnet sie um, schreibt der Wirklichkeit ein neues, ein unvermutetes Script. Unterschiedliche (alltags-)kulturelle, politische und soziale Kontexte verschneidet er zu reizvollen und visuell intensiven Tableaus, die inhaltliche Zusammenhänge aufspüren und die Modalitäten von Wahrnehmung sichtbar machen.
Sein künstlerisches Verfahren ist die Montage einzelner Teile, die zusammen ein dichtes Ganzes ergeben. Dieses Ganze kann wieder in seine Einzelteile zerlegt und neu geordnet werden; ein System von Scharnieren und losen Verbindungen erlaubt es dem/der BetrachterIn, den individuellen Erzählsträngen zu folgen.
Brigitte Huck, 2021
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small medium large. Skulpturen und Objekte aus der evn sammlung, evn sammlung, Maria Enzersdorf, 2022