Nora Turatos künstlerisches Material ist Sprache. Somit umfasst ihre Arbeit das unendliche Terrain der Wörter, sei das Gereimtes und Ungereimtes, sei es Logisches und Unlogisches, Kluges und Banales, seien das Behauptungen, Parolen oder bloß Textfragmente, ein Fetzen aus den Nachrichten, oder Trümmer aus den sozialen Medien. Eigentlich ist die Künstlerin eine Performerin, die in diesem Genre 2015 auf der Biennale von Venedig Furore gemacht hat. Die Grenzen zwischen Kunst und Leben überschreitet sie nach Lust und Laune, und interessiert sich für so vielfältige und unterschiedliche Themen wie Lesen und Schwimmen, Netflix, den kanadischen Sportbekleidungshersteller Lululemon, die menschliche Stimme, die politische Situation in der Arktis, Hunde, Werbung, Kino … In dramatischen Monologen, die tief in der Gegenwart wurzeln, wendet sie sich mit ihren Obsessionen ans Publikum. Smartphone und Laptop sind ihre Instrumente, mit ihnen baut sie Plakate, großformatige Emailarbeiten und Wandbilder aus Textbestandteilen, die auf ihren Performance-Skripts basieren. Die Ästhetik der Arbeiten bezieht sich auf Gestaltungs- und Gebrauchsmuster des Grafikdesigns, das Nora Turato mit ihrer eigenen Handschrift aufmischt.

Für die Sammlung der EVN hat die Künstlerin eine Tapete entwickelt, deren Inhalt auf die aus unserem Leben nicht mehr wegzudenkende Handbewegung des Scrollens (I’ll just take my finger and scroll) und die Bedeutung von Energie für Maschinen und Menschen (battery life and cameras) hinweist. Die zunächst rätselhafte, handschriftliche Komponente der Tapete (suck on it, keeps saliva flowing) bezieht sich auf den kanadischen Science-Fiction-Horrorfilm Cube von 1997. Sechs einander unbekannte Menschen treffen in einem Labyrinth aus industriellen würfelförmigen Räumen aufeinander und versuchen aus dem kafkaesken Set zu entkommen. Sie saugen an den Knöpfen ihrer Kleidung, um den Speichelfluss in Gang zu halten und so das Hungergefühl zu unterdrücken.

Brigitte Huck, 2019