Potentialities beyond political sadness
Chto Delat
Tapete, digitale Collage aus einer PDF-Datei eines Affichenpapiers (Blueback)
Maße variabel (Breite 65 cm, Vertikale 45 cm)
2020
Commission 2020
Inv. Nr. WP_13
Chto Delat klingt wie ein russischer Eisbrecher und kann, was die können: nämlich zugefrorene Weltmeere befahren. Allerdings handelt es sich bei dem Kollektiv nicht um Seeleute, sondern um Künstler-, Kritiker-, Schriftsteller- und Philosophinnen.
Ihnen geht es darum, aufzuzeigen, wie brüchig das Leben heute ist, wie festgefahren die politische, ökonomische und ökologische Lage, wie gefährlich die Wiedergeburt von Nationalismus, Imperialismus und Fundamentalismus sind. Und welche Rolle Kunst in diesem Szenario spielt. Insofern ist Chto Delat (russisch für Was tun?) ein Nom de Guerre, eine geheime Chiffre, die bei Wladimir Iljitsch Lenin ihren Ausgangspunkt hat, als der 1902 eine revolutionäre marxistische Arbeiterpartei verlangte. 2003 in St. Petersburg gegründet, möchte Chto Delat die große Tradition der russischen Avantgarden fortführen und ihren kämpferischen Optimismus bewahren. Dafür haben sie unterschiedliche, teils klassische Formate weiterentwickelt und zugespitzt: das Singspiel Bertold Brechts etwa, partizipatives Theater, Propagandatools wie die Learning Flags (in der evn sammlung z.B. Lenin. Fly Like a Butterfly, Sting like a Bee, 2011, Inv. Nr. 0384), Wandmalereien, öffentliche Aktionen, Film, Video und spektakuläre, als ‚tragisch’ bezeichnete Ausstellungen, wie 2014 in der Wiener Secession und der Berliner Galerie KOW (Time Capsule. Artistic Report on Catastrophies and Utopia).
Die zahlreichen Aktivitäten werden von einer Kerngruppe koordiniert, zu der folgende Mitglieder gehören: Tsaplya Olga Egorova (Künstlerin, Sankt Petersburg), Artiom Magun (Philosoph, Sankt Petersburg), Nikolay Oleynikov (Künstlerin, Moskau), Natalia Pershina/Glucklya (Künstlerin, Sankt Petersburg), Alexey Penzin (Philosoph, Moskau), David Riff (Kunstkritiker, Moskau), Alexander Skidan (Dichter, Kritiker, Sankt Petersburg), Oxana Timofeeva (Philosophin, Moskau) und Dmitry Vilensky (Künstler, Sankt Petersburg).
Zur DNA der evn sammlung gehören unsichtbare Verkettungen, und so soll erwähnt sein, dass David Riff, gemeinsam mit Dmitry Gutov, Schöpfer eines weiteren Werks in der Sammlung ist: The Need for Money, 2012/13, Inv. Nr. 264 a-f, das Malerei und Sound mit der 2005 in Moskau gegründeten Karl-Marx-School of the English Language bzw. Wissen generell verbindet.
Auch das 2020 entstandene Werk für die 4. Episode des Tapetenprojekts der evn sammlung arbeitet mit dem Kulturgut Wissen. Von allem Anfang an verstanden die Mitglieder von Chto Delat Wissen als zentrales Element des (politischen) Handelns. Ein umfangreiches Archiv aus Zeitungen, Zeitschriften, Ephemera, Filmfragmenten, Dossiers, schriftlichen Materialien ect. dokumentiert seit über einem Jahrzehnt ihre Arbeit. Aus diesem Fundus speist Chto Delat die vorliegende Tapete, und entwickelt sie als endlose Collage.
Brigitte Huck, 2020
WeiterlesenAusstellungen
Wallpaper #4, evn sammlung, Maria Enzersdorf, 2020
Publikationen
Wallpaper #4, Wien 2021, S. 36–39 (s. p.)