Ohne Titel (Zitat Voltaire's über den Guten Geschmack)
Christian Philipp Müller
Emailletafel
39 × 45 cm
1986
Ankauf 2009
Inv. Nr. 0188
Mit Carl Theodors Garten in Düsseldorf-Hellerhof besitzt die evn sammlung eine frühe, im Kontext einer Aktualisierung der historischen Konzeptkunst ungemein wichtige Arbeit des Schweizers Christian Philipp Müller. Prozessualität und ein erweitertes Verständnis von Ortsspezifik charakterisieren ein Werk, das nicht nur den physischen Raum, sondern auch die davon ausgehenden kulturellen, ökonomischen und politischen Zusammenhänge einbezieht.
Thema der Arbeit, die Müller als Studierender der Kunstakademie in Düsseldorf realisierte, war eine Gartenanlage, die Kurfürst Carl Theodor 1755 im heutigen Düsseldorfer Stadtteil Hellerhof geplant, tatsächlich aber einige Kilometer weiter nördlich in Benrath umgesetzt hatte. Man könnte von einer Montage mit temporären territorialen Markierungen sprechen, die der Künstler während der von ihm geleiteten Führungen durch die im Bau befindliche Wohnsiedlung Hellerhof hinterließ. Müller hatte die Geschichte der Planung des „Lustschlosses in Form einer Eremitage“ genau studiert und übertrug den Entwurf von Nicolas de Pigage (1723–1796) auf den ursprünglich geplanten Standort. Um eine Verbindungslinie zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu ziehen, positionierte Müller in Tücher gehüllte Kollegen als Denkmäler für Aufklärer wie Rousseau und Montesquieu entlang der Route. Die Living Sculptures zitierten Texte der von ihnen Dargestellten. Müller selbst trat im Tweedjackett und mit einer Fliege als Fremdenführer auf und präsentierte seinen Zuhörern – darunter seinen Studienkollegen Andreas Siekmann und Andreas Gursky – die schönsten Punkte des Schlossparks. Er erzählte vom Wasserwerk des Gartens und bacchantischen Schäferspielen und brachte ein erotisches Gerücht in Umlauf, das Voltaire und den Kurfürsten betraf. Über Amtsblätter und Lokalzeitungen lud Müller zu den Rundgängen und dem an einer Bushaltestelle arrangierten Konzert mit Werken des Hofkomponisten Johann Stamitz ein. Darüber hinaus verhandelte er mit der Stadt über die Errichtung einer Tafel mit dem Plan des kurfürstlichen Gartens.
Carl Theodors Garten in Düsseldorf-Hellerhof operiert an jener Schnittstelle der zeitgenössischen Kunst, an der performative Selbstinszenierungen und eine kontextuell und politisch orientierte, kritische Praxis an die Stelle künstlerischer Atelierproduktion treten. Als manifestes Werk besteht Müllers Studie heute aus 19 Schwarz-Weiß-Vintage-Fotografien, einer Emailletafel und einem 32-seitigen Programmheft.
Brigitte Huck, 2011
WeiterlesenPublikationen
evn collection. 2006–2011, Köln 2011, S. 270–283